Berufsausbildung und Studium schließen sich heutzutage nicht mehr gegenseitig aus.
Mit der zunehmenden Automatisierung und Digitalisierung klassischer Fertigungsverfahren ist die Nachfrage nach Ausbildungsprogrammen in Maschinenbau- und Fertigungstechnik sprunghaft angestiegen. Scheinbar von heute auf morgen sterben Berufe aus. Dementsprechend vollzieht sich in der praktischen und technischen Ausbildung eine gravierende Veränderung.
Unternehmen wie General Electric und Dyson haben eigene Lösungen gefunden, um Engpässe zu bewältigen. Sogar das the Pentagon muss Ausbildungsprogramme in der Fertigung unterstützen. Die Entwicklung schreitet bereits voran. Schulen und Universitäten weltweit investieren in mit modernster Technik ausgestattete Einrichtungen, die sich Fabrikationslabore, „Fab Labs“, Innovationszentren und Makerspaces nennen. Dort werden Auszubildende mit neuen Technologien vertraut gemacht und mit den Qualifikationen ausgestattet, die moderne Arbeitskräfte brauchen.
Das Career and Technical Education (CTE)-Programm der Somerville High School in Massachusetts definiert die berufliche Ausbildung neu. Dort werden die Auszubildenden auf gefragte Berufe vorbereitet, um entweder zu studieren oder direkt in den Arbeitsmarkt einzusteigen.
Die Ausbildung in der fortschrittlichen Fertigungstechnik in Somerville findet im neuen Fab Lab der Schule statt. „Fabville“ ist mit modernsten Prototyping- und Produktionsmaschinen, von CNC-Fräsen bis zu 3D-Druckern, ausgerüstet. Abends bietet die Schule Kurse für Unternehmer, die ihr eigenes Geschäft ankurbeln wollen, sowie Schulungen oder Umschulungen für moderne Fertigungsberufe.
Wir sprachen mit Jerry Shaw, dem Leiter von Fabville, über die Entwicklung des CTE-Programms, den Lehrplan für projektbasiertes Lernen und Planen sowie über seine Ratschläge für Ausbilder, die Fab Labs gründen und in ihnen unterrichten..
Im Zuge des Wettbewerbs Innovate & Educate Challenge lud Formlabs landesweit Lehrkräfte ein, Lehrpläne zu erstellen und auszutauschen, die kreatives Denken und praktisches Lernen durch 3D-Druck fördern. Zu den Gewinnern des Wettbewerbs gehörte die Somerville High School. Laden Sie den Lehrplan “Grundlagen der 3D-Modellierung und des 3D-Drucks” kostenlos herunter und besuchen Sie die Sektion Ausbildung, wo Sie weitere Lehrpläne und Ressourcen finden.
Warum ist es wichtig, fortgeschrittene Maschinenbau- und Fertigungstechnik in die Schulbildung zu integrieren?
In vielen High Schools werden die Schüler im Unterricht nicht angeregt, ein Projekt von Anfang bis Ende zu durchdenken.
Ich habe früher gleichzeitig Physik und Technik unterrichtet. Die Schüler in Physik langweilten sich im Labor. In der Technikklasse hingegen haben wir ähnliche Konzepte besprochen und diesen Schülern machte die Arbeit Spaß. Später habe ich erkannt, dass es am Unterschied zwischen den Labors und den Projekten lag. In den Labors gab es einen vorgeschriebenen, schrittweisen Prozess, von dem wir nicht abweichen konnten. Bei Projekten haben die Schüler die Möglichkeit, sich kreativ einzubringen und etwas Eigenes zu erschaffen. Die Freude am technischen Gestalten und Kreieren hilft ihnen, den kreativen Prozess besser zu verstehen.
Außerdem sind 3D-Drucker und Laser-Gravurgeräte Dinge, die viele Kids noch nie gesehen haben. Es ist zunächst einfach, sie dafür zu begeistern. Wenn ich ihnen daraufhin in einem Video zeige, wie diese Geräte in der Industrie angewendet werden, um beispielsweise per 3D-Druck Prototypen, biomedizinische Vorrichtungen, Organe, sogar Nahrungsmittel herzustellen, sind sie nicht mehr davon wegzukriegen.
Darüber hinaus müssen viele traditionelle Arbeitsplätze den automatisierten, computerbasierten Tätigkeiten weichen. Diese Qualifikationen sind enorm gefragt, aber zum Teil besteht das Problem auch darin, dass es nicht genug Fachkräfte zur Bedienung dieser neueren Maschinen gibt. Bevor wir Fabville gegründet haben, kannten sich viele Schüler mit der Bedienung der alten Maschinen aus, aber nicht mit den neuen Fertigungsmethoden, also der digitalen Seite der Produktion mittels 3D-Modellierung und CAD. An diesem Punkt knüpfen wir jetzt an.
Die meisten meiner aktuellen Schüler haben bereits Stellenangebote bekommen. Arbeitgeber fragen mich ständig, ob ich jemanden habe, der CNC-Anlagen oder digitale 3D-Modellierungssysteme bedienen kann.
Inwiefern unterscheidet sich das CTE-Modell der Somerville High School von anderen und welche Veränderungen sehen Sie voraus?
Die Hälfte meiner Schüler geht an die Universität, die andere Hälfte tritt in den Arbeitsmarkt ein. Das Stigma, das früher der Berufsschule anhaftete, gibt es heute nicht mehr, besonders in Massachusetts. Anfang der 90er Jahre hat der Bundesstaat den Schwerpunkt auf die berufsbildende Ausbildung gelegt, um ihr Niveau anzuheben und ihren akademischen Anspruch zu stärken.
Ich habe Maschinenbautechnik studiert und habe nie die Berufsschule besucht. Als ich von der High School abging, wusste ich nicht, was ein Ingenieur ist, weil es diese Möglichkeiten einfach nicht gab. Es gibt so viele Leute in der Technik oder Konstruktion, die nicht wissen, wie man diese Maschinen bedient oder konstruiert. Sie kennen die Theorie, aber nicht die Praxis.
Ich glaube, weil diese Kenntnisse jetzt gefragt sind, sehen die Schüler CTE-Programme nicht mehr als Hindernis für ein Studium. 70 % unserer Schüler im ersten Jahrgang der Oberschule haben sich in CTE-Kurse eingeschrieben.
Alle Schüler, die sich einschreiben, absolvieren unser Einführungsprogramm, bei dem jeder Schüler über mehrere Wochen das gesamte CTE-Ausbildungsangebot, von den ersten Schritten bis zur fortschrittlichen Fertigungstechnik, kennenlernt. In meiner Werkstatt helfen einige Schüler der Oberstufe beim Unterricht mit, indem sie z. B. den jüngeren Schülern bei der Verwendung der 3D-Drucker helfen. Wir zeigen ihnen die Werkstatt, spezifische Projekte und mögliche Berufswege, die sie einschlagen können. Im letzten Vierteljahr wählen die Anfänger drei Schwerpunkte und bleiben daraufhin die restliche Zeit im gleichen Programm.
Ein weiterer Vorzug ist, dass die Schüler mit der Zeit zusammenwachsen und mit den Lehrern und Mitschülern zu einer Gemeinschaft werden. Das ist so ähnlich wie ein Club in der Schule. Damit ist viel Stolz verbunden.
Es gibt viele Modeworte für die Initiativen der Schulen, neue Technologien in gemeinsam genutzte Arbeitsbereiche zu bringen: Makerspaces, Fab Labs, Innovationszentren usw. Gibt es da Unterschiede?
Es kann Unterschiede geben, wie individuelle Schulen diese Arbeitsbereiche gestalten. Einige sind unstrukturiert und lassen die Schüler jederzeit an beliebigen Projekten arbeiten. Andere bieten strukturierte Möglichkeiten, sie in die Maschinen zu unterweisen und mit ihnen etwas zu konstruieren. Das Schwierigste an einem Projekt ist mitunter die Entscheidung, was man bauen will oder welches Problem man lösen will. Häufig bedarf es einer gewissen Struktur, um tatsächlich etwas bauen zu können.
Der größte Unterschied zwischen unserem und dem Ansatz anderer Schulen ist diese Betonung auf Struktur. Wie beim 3D-Druck: Viele Betriebe kaufen einen 3D-Drucker und fragen sich, „Was machen wir jetzt damit?“ Dann drucken sie einfach Dinge aus dem Internet. Damit wird nichts gelehrt, sondern nur cooles Spielzeug gedruckt.
Gehen wir etwas eingehender auf dieses Beispiel ein. Wie passt der 3D-Druck spezifisch in Ihren Lehrplan?
Der 3D-Druck ist in vielen Fällen schneller, aber generell eignet er sich großartig für das Prototyping. Wir können ein 3D-Modell auf die Maschine übertragen und sehen, wie man es auf erschwingliche Weise bauen kann. Wenn es die gewünschte Form hat, verwenden wir rostfreien Stahl, der ein bisschen teurer ist, und lassen uns etwas mehr Zeit zum Bauen.
Ich habe mit dem 3D-Druck auch schon die 3D-Modellierung unterrichtet. Da 3D-Druck Spaß macht und die Schüler anspricht, werden sie zum Lernen von CAD angeregt. Sie lernen die 3D-Modellierung anhand von SolidWorks oder Inventor, aber das kann nach einer Weile langweilig werden, weil sie nur am Computer arbeiten. Um dem vorzubeugen, drucken wir das eigentliche Objekt in 3D. Daraufhin prüfen die Schüler das Druckteil mit Messinstrumenten, um sich zu vergewissern, dass alles richtig gedruckt wurde. So lernen sie den Aspekt der Qualitätssicherung. An diesem Punkt kommen wir in den Bereich der Fertigung.
Darüber hinaus lassen sich mit dem 3D-Druck viele Probleme lösen. Erst zeige ich, wie er auf strukturierte Weise bei der 3D-Modellierung eingesetzt werden kann, und später ist er ein Mittel zur Lösung weiterer Probleme, wie etwa eine Säge. Dies trägt zum Verständnis der Schüler bei, wie Technologie im Kontext eines Projekts benutzt wird. Später, wenn sie eigene Ideen haben, können sie zurückkommen und auch daran arbeiten. Alle Schüler in meiner Oberklasse kennen sich größtenteils mit sämtlichen Maschinen aus.
Zusätzlich zum regulären Lehrplan legen wir den Schülern hier in Fabville auch reale Probleme vor, die sie lösen müssen. In der Kosmetikwerkstatt ist z. B. ein Griff an einem Dampfgerät abgebrochen. Einer meiner Schüler hat alles abgemessen und ein 3D-Modell für den Griff konstruiert. Er wusste, dass er präzise gebaut werden musste, damit er in die Aussparung am Gerät passte, daher hat er ihn mit unserem 3D-Drucker von Formlabs gedruckt.
Erfahren Sie, wie Lehrkräfte 3D-Drucker im Unterricht verwenden.
Was hindert Lehrkräfte Ihrer Meinung nach daran, neue Technologien einzuführen, und woher beziehen Sie Ihre Informationen und Anregungen?
Ich habe zwar technische Erfahrung, aber nicht in allen technischen Anwendungen oder 3D-Druckverfahren. Bis vor ein paar Jahren, als ich damit quasi konfrontiert wurde, wusste ich überhaupt nichts über das 3D-Drucken.
Eine meiner Informationsquellen ist die Website teachengineering.org, die von Lehrkräften in technischen Fächern erstellt wurde. Sie taten sich zusammen, weil sie erkannten, dass es nicht viele Ressourcen für unsere Tätigkeit gibt. Andere Möglichkeiten sind die Zusammenarbeit mit Lehrkräften in der Technik und das Gespräch mit Leuten in der Branche, um zu sehen, welche Anwendungen es gibt. Man kann auch ganz einfach in ein wissenschaftliches Museum gehen, sich die Ideen dort anschauen und überlegen, wie sie in den eigenen Unterricht integriert werden können.
Anfänglich hilft es zudem, Ideen aus verfügbaren Lehrplänen und Lektionen zu übernehmen. Viele Lehrkräfte haben keine Erfahrung, wie man mit diesen Geräten designen oder konstruieren kann. Deshalb kann es sehr nützlich sein, Lehrpläne zur Verfügung zu haben, an denen man sich orientieren oder erkennen kann, was wichtig ist.
Laden Sie den Lehrplan der Somerville High School, “Grundlagen der 3D-Modellierung und des 3D-Drucks” herunter und melden Sie sich für unseren Newsletter an. Wir senden Ihnen aktuelle Informationen, wenn neue Lehrpläne in unsere Online-Bibliothek eingestellt werden.
Welche anderen Programme unterstützt Fabville? Wie binden Sie das Fab Lab in die Gemeinschaft ein?
Dies ist das erste Jahr, somit sind wir noch dabei, all diese Programme einzurichten. Die Grundidee ist, dass Menschen, die nicht unbedingt mit der Konstruktion oder Arbeit an Maschinen vertraut sind, es aber lernen wollen, hierher kommen und diese Kenntnisse erwerben können.
Arbeitslose Menschen können hierher kommen und Fähigkeiten wie die 3D-Modellierung erlernen, die ihnen den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern. Unsere Maschinenwerkstatt arbeitet mit einem örtlichen Herstellerverband zusammen, um entlassene Arbeitnehmer in der maschinellen Fertigung weiterzubilden, damit sie sich für die Arbeitsplätze qualifizieren, die Arbeitgeber dringend besetzen müssen.
Für Somerville selbst hoffen wir, dass langfristig mehr und mehr Leute, die ihr eigenes Geschäft gründen möchten – und vielleicht sogar ein paar unserer Schüler mit unternehmerischen Ideen hier ihren Anfang finden. Unsere Rolle besteht nicht darin, zu verbessern oder zu ersetzen, was andere berufsbildende Zentren oder Makerspaces in der Gemeinschaft tun. Wir wollen vielmehr eine Ausgangsbasis für Leute bieten, die nicht gerne an einen Ort gehen, wo viele Leute arbeiten. Wir bieten eine sichere Umgebung, in der man sich nach und nach mit den Maschinen vertraut machen kann, um anschließend an einen anderen Ort zu gehen oder gleich ein Unternehmen zu gründen.
Was ist der nächste Schritt für Fabville?
Zu den größten Erfolgen für die Zukunft gehört, dass gerade eine neue High School genehmigt wurde. In der neuen Einrichtung werden die Maschinenwerkstatt und das Fab Lab nebeneinander liegen. Wir bekommen ein paar Maschinen, die uns die Arbeit erleichtern, wie z. B. die elektronische Textilherstellung. Zudem werden alle CTE-Abteilungen über die ganze High School verteilt sein.
Außerdem planen wir Robotik- und Mechatronikprogramme und führen Klassen ein, wie man Roboter konstruiert und in Fertigungsverfahren integriert.
Kostenloser Download von Lehrplänen
Dank der im Rahmen des Formlabs-Wettbewerbs Innovate & Educate Challenge eingereichten Materialien können wir kostenlos Lernmaterialien zur Verfügung stellen und mit einer Lerngemeinschaft austauschen, die sich dafür engagiert, Schüler mit interessanten, immersiven Erfahrungen zu inspirieren. Laden Sie unsere ersten beiden Lehrpläne (die Gewinner des Wettbewerbs) herunter, um zu erfahren, wie Sie den 3D-Druck wirksam in Ihren Lehrplan integrieren können.
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