Sinterex gehört seit 2017 zu Dubais führenden Unternehmen im medizinischen 3D-Druck. Heute nutzt das dortige Team aus 16 Ärzt*innen und Ingenieur*innen sechs 3D-Drucker aus dem Hause Formlabs und arbeitet mit der führenden Gesundheitsbehörde der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zusammen, der Dubai Health Authority (DHA). Außerdem ist es Teil der Dubai 3D Printing Strategic Alliance, die den 3D-Druck in den gesamten VAE fördert.
Der FREOPP World Index of Healthcare Innovation beschreibt die finanzielle Tragbarkeit und den Haushalt des Gesundheitswesens der VAE als herausragend, kritisiert aber die medizinischen Fortschritte, die Digitalisierung des Gesundheitssystems und den Zugang zu neuen Therapien als schwach. Sinterex hat es sich zur Aufgabe gemacht, eben diesen Status quo zu ändern. Deshalb arbeitet Sinterex mit den innovativsten, zukunftsorientiertesten und kreativsten Mediziner*innen, aber oft auch an den kompliziertesten Fällen im gesamten Golf.
Die meiste Erfahrung hat das Team bis dato mit Anatomiemodellen zur Operationsplanung gesammelt. Dabei erhebt das Team die CT- oder MRT-Daten und segmentiert diese in einer entsprechenden Software, um spezielle anatomische Gegebenheiten zu isolieren. Danach werden mithilfe von 3D-Druck entweder Modelle, Operationsschablonen oder auf Patient*innen angepasste Implantate erstellt. Bei allen Vorzügen eignen sich Modelle besonders gut für Patientengespräche, damit diese den Eingriff besser verstehen. Außerdem hilft das Modell bei der Operationsplanung, was sich deutlich auf den Erfolg der Operationen auswirkt.
Fallstudie: 3D-Druck zur Herstellung des Modells eines bösartigen Chondrosarkoms
Ein Chondrosarkom ist eine Art Knochenkrebs, der sich im Knochenknorpel bildet. Für gewöhnlich beginnt es im Becken zwischen den Hüftbeinen, in der Schulter, in den Rippen oder am Ende der langen Arm- oder Beinknochen. Chondrosarkome sind die dritthäufigsten primären Knochenmalignome, nach Myelomen und Osteosarkomen, und machen ca. 20 bis 27 Prozent der primären bösartigen Knochentumore aus.
Einer jungen Philippinerin gelang auch nach vier Jahren Ehe keine erfolgreiche Schwangerschaft, deshalb suchte sie gynäkologische Hilfe. Bei der Untersuchung wurde eine Wucherung im Beckenbereich entdeckt. Und so wurde die Patientin an Dr. Mohamed Ahmed Mashhour verwiesen, einen Facharzt für orthopädische Chirurgie und Spezialisten für orthopädische Onkologie der Muskel-Skelett-Knochen und Weichgewebetumore mit 26 Jahren Erfahrung.
Bei einer anschließenden Untersuchung mit MRT und Kontrast stellte das Team eine riesige Wucherung im Beckenbereich fest, die sich vom Schambeinast in die Beckenhöhle ausbreitete und selbst außerhalb der Beckenhöhle.
MRT-Scan mit dem virtuellen 3D-Modell und der großen Wucherung in Rot
„Sie steckte tief im Becken und konnte vom Abdomen her abgetastet werden. Sie breitete sich nach oben aus, fast bis zum Nabel", beschreibt Dr. Mashhour. Ein interdisziplinäres Team aus einem Gefäßchirurgen, einem Facharzt der Geburtshilfe und Gynäkologie, Onkologen und Radioonkologen besprach den Fall ausgiebig. Aufgrund der Größe des Tumors gab es eine hitzige Debatte, ob die Operation durchgeführt werden sollte oder nicht.
„Als Tumorchirurgen betrachten wir die Bilder äußerst genau und legen viel Wert auf die Vorbereitung. Deshalb benötige ich alle erdenklichen Werkzeuge, um die Entscheidung zu treffen, zu ändern oder zu verbessern. Unterm Strich ist mir alles wichtig, das meine Operationsplanung so genau wie möglich macht oder das Komplikationen, Fehlausrichtungen und andere Probleme vermeidet“, erklärt Dr. Mashhour.
CT-Scan mit einem virtuellen 3D-Modell und hervorgehobenem Tumor in Blau
Der Tumor umspannte mehr als 80 % des Beckenbereichs und trat sogar daraus hervor. Lebenswichtige Gefäße waren in der Masse des Tumors eingeschlossen. Beim Herausschneiden hätten diese in die Beckenhöhle abfallen können und eine tödliche Blutung auslösen.
Und hier kam das 3D-Modell ins Spiel. Die Ergebnisse zeigten damals, dass sich der Tumor nicht herausschneiden ließ. Dr. Mashhours Team musste leider feststellen, dass die Operation nicht durchgeführt werden konnte. Und trotzdem war man froh, dass der 3D-Druck zu einer wissenschaftlichen Entscheidung beigetragen hat. Tatsächlich war in diesem speziellen Fall die Vermeidung einer Operation genau das Richtige.
Dr. Mashhour glaubt fest daran, dass das Konzept der 3D-Modelle in der orthopädischen Onkologie eine geniale Lösung ist. Er beschreibt die Technologie als innovativ.
„Früher hatten wir für Patienten mit Tumoren etwas, das wir als individuelle Prothesen bezeichneten. Man untersucht den Patienten, macht einen MRT-Scan, misst alles aus und sendet das an einen Hersteller, der für den Patienten ein individuelles Modell in passender Größe anfertigt. Das dauerte so anderthalb bis zwei Monate. In dieser Zeit wächst der Tumor weiter und die Maße verändern sich wieder. Doch dank des 3D-Drucks fertigen wir unsere Modelle heute in Rekordzeit an und sehen den Tumor in seiner vollen Größe. Das ist etwas, das ein zweidimensionales Bild leider nicht zu übermitteln vermag.“
Dr. Mashhour
Die Herstellung des 3D-Tumormodells
Bei Sinterex wurden der MRT- und der CT-Scan kombiniert, um ein tiefgreifendes Verständnis der Gegebenheiten zu erlangen. Das Modell besteht aus fünf oder sechs unterschiedlichen Teilen, die aus einer Kombination verschiedener Kunstharze gedruckt wurden. White Resin gibt einen weißen Knochen wieder. Und die Organe bestehen aus Elastic 50A Resin. Danach wurde das Modell noch mit Acrylfarben lackiert und abschließend mit Glanzlack überzogen, damit die Oberfläche schön glänzt.
Wenn der Managing Director von Sinterex, Julian Callanan, ein Modell dann beispielsweise vor einer Nieren-OP vorzeigt, dann weiß er, dass die anderen Chirurg*innen besonders am Gefäßaufbau interessiert sind. Deshalb hat die Lackierung so eine große Bedeutung. Die Chirurg*innen begreifen besser, was sie vor sich sehen.
„Eine der beeindruckendsten Sachen ist, wenn man erst den CT- oder MRT-Scan sieht und anschließend den Kontrast des 3D-Modells sieht. Medizinische Fachkräfte verbringen einen großen Teil ihrer Ausbildungszeit mit dem Lesen von CT- und MRT-Daten, bis sie zu Experten werden. Und trotzdem ist das menschliche Gehirn auf drei Dimensionen ausgelegt. Seine Welt ist dreidimensional. Aus zweidimensionalen Bildern dreier unterschiedlicher Ebenen im Kopf ein genaues 3D-Bild zu erschaffen, das ist – glaube ich – unmöglich. Und das ist wirklich der unglaubliche Beitrag des 3D-Drucks.“
Julian Callanan, Managing Director von Sinterex
Der Zusammenbau war ziemlich knifflig. So musste das Team von Sinterex kleine Steckverbindungen integrieren, um die verschiedenen Teile zu verbinden, damit die räumliche Verteilung richtig wiedergegeben werden konnte.
Hinzu kommt, dass das korrekte Auslesen der medizinischen Bildgebung wohl der schwierigste Teil des Prozesses war. „Zwei Leute haben daran drei Tage lang gearbeitet. Stellen Sie sich vor, dass all diese Zeit, all dieses Wissen, all diese Expertise in die Kosten miteinfließt. Heutzutage gibt es erstaunliche KIs bei einigen Unternehmen, die diesen Prozess automatisieren. Die Segmentierung, auch wenn sie eines manuellen Checks bedarf, ist nur einen Klick entfernt. Auch der Druck und die Modellherstellung werden mit der Zeit immer schneller“, berichtet Callanan.
Ein Blick auf die Zukunft der Präzisionschirurgie in den VAE
Der Einsatz von 3D-Modellen lohnt sich besonders bei komplizierten Wiederherstellungsfällen, beispielsweise bei Operationen für Hüft- oder Knie-Endoprothesen, bei denen die Ärzt*innen sich Herausforderungen in Echtzeit stellen müssen.
„Komplexe Fälle, komplexe Missbildungen, Kunstfehler – all das sind Fälle, in denen 3D-Druck wirklich glänzt. Die Technologie ist in unserer Region vielleicht noch innovativ, sie erinnert mich aber an die Anfänge der Navigationssysteme. Damals waren Chirurgen, die früh mit der Technologie arbeiteten, zwei- bis dreimal schneller als diejenigen ohne. Es steht außer Frage, dass dies die Zukunft ist. Somit ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, Schritt zu halten.“
„Es war unglaublich beeindruckend, als wir Dr. Mashhours Reaktion erlebten und die Auswirkung auf seine Arbeit. Ich glaube, das Durchleben dieses Prozesses und ein Verständnis der Einschränkungen, mit denen Chirurgen manchmal arbeiten, und ihre Herausforderungen ... das ist wirklich eindrucksvoll. Die Technologien von Formlabs sind in vielen Bereichen einfach herausragend. Die Geräte sind erschwinglich, die Drucker produzieren Teile in sehr guter Qualität und alles lässt sich leicht bedienen. Wir verwenden 3D-Druck sowohl im medizinischen Bereich als auch in der Zahnmedizin.“
Julian Callanan, Managing Director von Sinterex
Dr. Mohamed Mashhour sagt abschließend: „Ich blicke mit so viel Enthusiasmus auf diese Technologie. Wir müssen ihre Präsenz verstärken, da sie klar und deutlich ihren Nutzen beweist. Dazu müssen wir die medizinischen Kräfte von ihr überzeugen und auch die Krankenhäuser müssen sie berücksichtigen.“
Besonderer Dank gilt der Raidy Printing Group, unserem offiziellen Vertriebspartner in den VAE, für die Zusammenarbeit mit Dr. Mashhour bei diesem Projekt.