Mediziner*innen haben seit jeher ein Ziel: Optimale Behandlung für alle Patient*innen. Mit technologischem Fortschritt verbessern sich die dafür verfügbaren Diagnose- sowie Behandlungsformen und ermöglichen eine Medizin, die immer stärker auf den Behandelten als Individuum zugeschnitten ist.
Angesichts des medizinischen Fortschritts in vielen anderen Fachbereichen sah Nico Bruns – Unfallchirurg an der Medizinischen Hochschule Hannover – großes Innovationspotential, da sich große Teile der Unfallchirurgie im Gegensatz dazu “in den letzten 30 oder 40 Jahren kaum verändert haben”. Denn bisher verhinderte das enge Zeitfenster nach Unfällen in Kombination mit hohen hygienischen Anforderungen, dass Operateure auf individualisierte, präzise Instrumente und Implantate zurückgreifen konnten.
Die Lösung dieser Herausforderungen fand Bruns im SLS-3D-Druck, den er mit seinem Unternehmen Navicos (kurz für “Navigated Customized Orthopedic Surgery”) im ISO-7-zertifizierten Reinraum betreibt. Durch den effizienten, betriebsinternen Prozess bringt Navicos patientenspezifische Instrumente innerhalb von 72 Stunden an den Operationstisch und verbessert die Behandlung zahlreicher Unfallopfer durch individualisierte Präzisionsmedizin.
"Ich habe aus meiner praktischen Tätigkeit heraus nach Lösungen gesucht, um die chirurgische Versorgung noch besser machen zu können. Für mich kam da früh der 3D-Druck ins Spiel. 3D gedruckte individuelle Werkzeuge sind derzeit aus meiner Sicht die einzige sinnvolle Lösung, virtuell geplante Operationen auch im OP kontrolliert umzusetzen."
Nico Bruns, Unfallchirurg an der Medizinischen Hochschule Hannover & Gründer und Geschäftsführer der Navicos GmbH
Traditionelle Werkzeuge erschweren präzise Behandlung
Fast schon wie aus der Zeit gefallen, wirken die chirurgischen Instrumente für Bruns im Gegensatz zum sonst so modernen medizinischen Equipment. “Während jeder Schreiner präzise mit CNC-Maschinen arbeitet, müssen wir doch immer noch mit sehr traditionellen Werkzeugen wie Hammer, Meißel, Säge und Bohrer auskommen, um zum Beispiel einen Knochenbruch einzurichten”, erklärt Bruns. Diese Instrumente bieten zwar den Vorteil, dass Mediziner*innen sehr schnell auf jede Situation reagieren können, lassen die Vorteile der Digitalisierung jedoch ungenutzt. .
Die üblichen Werkzeuge, die nicht an die individuellen Patientensituationen angepasst sind, machen die Behandlungsqualität stark vom Können der Chirurg*innenn abhängig. Aufgrund der teils schwer zugänglichen Knochenbrüche ist in einigen Fällen ein perfektes Ergebnis selbst für die erfahrensten Operateure unmöglich. So müsste beispielsweise jede fünfte Operation von Oberschenkelbrüchen wiederholt werden, da der Drehfehler den Toleranzbereich übersteigt 1,2,3,4. “Bei Knochenbrüchen ist hochrelevant, mit welcher Präzision diese wieder zusammengesetzt werden, um eine schnelle Heilung und ein bestmögliches funktionelles Ergebnis zu erzielen”, sagt Bruns und konkludiert: “Das Ziel für die Unfallchirurgie ist ganz klar die Präzision stetig zu steigern.”
Die Herausforderungen der Unfallchirurgie
Der Einsatz präziserer Werkzeuge wurde bisher erstens durch die hohe Komplexität und Einzigartigkeit der medizinischen Ausgangssituationen in der Unfallchirurgie verhindert. Denn Knochen und Gelenke sind stets individuell und weisen hochkomplexe dreidimensionale Formen auf. Zudem sind die knöchernen Strukturen schwer zugänglich. “Wir arbeiten in einem Bereich, der sehr klein und mit umliegenden Weichteilen auch unübersichtlich ist, wodurch der Einsatz präziser Werkzeuge erschwert wird”, sagt Bruns.
Die Instrumente, die in diesen schwierigen Situationen anwendbar wären, sind geometrisch äußerst komplex und mit traditionellen Verfahren kaum zu fertigen. “Genau da kommt die Stärke vom 3D-Druck in Kombination mit modernen Softwaresystemen zum Tragen. So konstruieren wir auch sehr kleine Werkzeuge, um die chirurgische Präzision bei komplexen Situationen zu erhöhen“, erklärt Bruns.
Ein vergleichsweise hohes Risiko für Infektionen in der Unfallchirurgie erfordert hohe hygienische Maßnahmen in unfallchirurgischen Medizinprodukten. Dies ist die zweite Herausforderung, die eine weitläufige Anwendung 3D-gedruckter patientenspezifischer Instrumente, wie in der Zahnheilkunde, der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) sowie der Tiermedizin, bislang verhinderte. Denn im Gegensatz zu den meisten Instrumenten der Zahnmedizin sind unfallchirurgische Hilfsmittel und Implantate von höherer Invasivität gezeichnet und entsprechen den strengsten medizinischen Risikoklassen IIb oder III.
Drittens bleibt für die Fertigung unfallchirurgischer Instrumente nur ein enges Zeitfenster, denn die optimale Behandlung muss spätestens vier bis fünf Tage nach der Verletzung erfolgen. Mit traditionellen Fertigungsverfahren war es bisher undenkbar, dass passgenaue Instrumente zur Operation bereitstehen, bevor sich verletztes Gewebe verfestigt.
Um verbesserte Instrumente für die Unfallchirurgie verfügbar zu machen, musste Navicos alle drei Herausforderungen lösen und einen Weg finden, in kürzester Zeit die komplexe, patientenspezifische Planung, Fertigung und Aufbereitung von Operationsgegenständen zu ermöglichen.
Medizinischer SLS-Druck mit dem Fuse-Ecosystem
Professionelle Qualität zum erschwinglichen Preis
In der Medizinproduktherstellung ist der SLS-3D-Druck aufgrund herausragender mechanischer Eigenschaften, hoher Präzision sowie Verlässlichkeit und Stützstrukturfreiheit sehr beliebt. Als Formlabs den SLS-Druck mit dem Fuse-Ecosystem endlich auch für junge Unternehmen wie Navicos erschwinglich machte, war Bruns sofort begeistert.
“Professioneller SLS-Druck war vorher ohne Investoren schlichtweg nicht finanzierbar, denn da hätte man 150 000 € und mehr zahlen müssen. Glücklicherweise kam dann der Fuse 1 und hat es überhaupt möglich gemacht, dass wir unser Vorhaben wirtschaftlich sinnvoll umsetzen können”
Nico Bruns, Unfallchirurg an der Medizinischen Hochschule Hannover & Gründer und Geschäftsführer der Navicos GmbH
Für die Fertigung patientenspezifischer Instrumente wie Resektionslehren und Sägeführungen setzt Bruns auf Nylon 12 Powder, welches sich aufgrund einer guten Kombination aus Maßhaltigkeit, Festigkeit und Schlagzähigkeit in der Medizinbranche bewährt hat. “Wenn ich an die üblichen 3D-Druck-Materialien denke, dann sind diese sehr spröde und brüchig. In Tests sind Bauteile aus anderen Materialien schon bei den kleinsten Verkantungen mit einem Bohrer zerplatzt”, sagt Bruns.
Verlässlichkeit, Standardisierung und Geschwindigkeit durch Stützstrukturfreiheit
Mit SLS-Druck kann Bruns bei der Fertigung komplexer Operationsinstrumente komplett auf Stützstrukturen verzichten. Damit vereinfacht sich die Vor- und Nachbereitung von Druckaufträgen für Bruns und sein Team deutlich. “Ich habe im Vorfeld viele Erfahrungen mit klassischem FDM-Druck gesammelt. Das ständige Entfernen der Stützstrukturen und das Bed Levelling, war für mich nicht zufriedenstellend und hat meine Entscheidung früh in Richtung SLS getrieben”, sagt Bruns.
Damit die dringend benötigten Operationswerkzeuge pünktlich eingesetzt werden können, zählt jede Sekunde. Mit SLS können Bruns Mitarbeiter*innen ihre wertvolle Zeit für die wirklich wichtigen Prozesse investieren. “Wir drucken Teile mit sehr komplexen Geometrien, beispielsweise mit mehreren Sägeschlitzen und langstreckigen Bohrlöchern in unterschiedlichen Richtungen. Da wird es extrem schwer, eine gute Ausrichtung der Stützstrukturen bei FDM zu finden. Mit SLS haben wir ein Sorglospaket, bei dem man sich keine Gedanken über die Ausrichtung machen muss, sondern eigentlich nur noch den Druck startet”, freut sich Bruns.
Mit der Verringerung manueller Bearbeitungsschritte reduziert Navicos ebenso menschliche Fehlerquellen, erhält höchste Wiederhol- und Verlässlichkeit im Druck und reduziertso zeitraubende Qualitätsprüfungen. “Ich wollte für eine standardisierte und optimierte Aufarbeitung am Ende keine Stützstrukturen an den Teilen haben. Mit jeder Fehlerquelle weniger, sparen wir auch QM-Schritte”, erklärt Bruns.
“Mit dem Fuse 1 haben wir eine absolut berechenbare Druckqualität. In über zwei Jahren Benutzung und 287 Druckaufträgen ist nicht ein Druck fehlgeschlagen. Die Bauteile werden immer exzellent gedruckt.”
Nico Bruns, Unfallchirurg an der Medizinischen Hochschule Hannover & Gründer und Geschäftsführer der Navicos GmbH
Durch die Stützstrukturfreiheit des SLS-3D-Drucks “ist für jeden Mitarbeiter klar, welche Strukturen zum Bauteil gehören und welche nicht. Das ist für die Aufbereitung extrem wichtig”, erklärt Bruns. So kann er Zwischenschritte der komplexen Fertigung standardisieren, um die Produktion von Navicos zu skalieren und präzise, patientenspezifische Instrumente für eine breite Masse an Patient*innen zugänglich zu machen.
Optimale Nutzung der Produktionsfläche
Die Skalierung der Produktion wird zusätzlich durch die Dimensionen des Fuse 1 ermöglicht, die ideal für die Medizinprodukteherstellung ist. Denn die Bauraumgröße ermöglicht den 3D-Druck in den Ausmaßen menschlicher Körperteile “wie einem Hemipelvis, ohne das wir da etwas abschneiden müssten. Für den Druck unserer Instrumente hat der Bauraum bisher auch immer gereicht”, sagt Bruns. Gleichzeitig ist der Fuse 1 platzsparend designt und ermöglicht, dass wir ohne neuen Reinraum auf fünf Drucker skalieren könnten. Das wäre mit anderen SLS-Druckern sicherlich deutlich schwieriger, die mindestens doppelt so groß sind.“ So kann Bruns teure Produktionsflächen optimal nutzen.
Reinraum reduziert Kontrollaufwand
Denn um die präzisen Instrumente schnell und hygienisch zum OP liefern zu können, betreibt Navicos den medizinischen SLS-Druck in einem ISO-7-zertifizierten Reinraum. In einem gesonderten Abteil des gemeinsam mit der Colandis AG geplanten Reinraums, druckt Bruns’ Team die Teile und gewinnt Pulver am Fuse Sift zurück. Um die Partikelzahl in der Raumatmosphäre zu minimieren und Kreuzkontamination zwischen Druckmaterial zu verhindern, experimentierte er mit verschiedenen Druckstufen und Entpulverungsverfahren.
“Stand der Dinge ist, dass jede Art von OP-Werkzeug unter Reinraumbedingungen verpackt werden muss”, erklärt Bruns. Doch die Teile nach dem Druck für die abschließende Verpackung in den Reinraum einzuschleusen, wäre unter anderem mit langwierigen Qualitätskontrollen verbunden. Durch die Produktion direkt im speziell entwickelten Reinraum spart er sich Zeit sowie Aufwand für diese Kontrollen und bereitet die Operationswerkzeuge MDR-konform schneller für den Versand vor.
Der zweite Vorteil des Reinraums ist, dass Bruns ungesintertes Druckmaterial wiederverwerten kann, um Navicos Fertigung nachhaltiger und kostengünstiger zu gestalten. “Bei jedem Produkt muss gemäß der MDR klar ersichtlich sein, aus welchem Material es gedruckt wurde”, erklärt er. Dabei muss zu jedem Zeitpunkt ein medizinischer Reinheitsgrad sichergestellt werden. Durch den Betrieb des 3D-Drucks im Reinraum wird eine Verunreinigung ausgeschlossen. “Ohne Reinraum darf gemäß der MDR ausschließlich mit Neupulver gedruckt werden. Das ist nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch katastrophal”, betont Bruns.
“Ich fände es extrem schade, wenn wir mehr Pulver für den Druck bräuchten, als wir wirklich benötigten. Dafür haben wir einen geschlossenen Pulverkreislauf entwickelt, um sicherzustellen, dass keine Fremdpartikel eingetragen werden und das Druckpulver immer hunderprozentig den Standards entspricht, die wir eingangs geprüft haben.” So kann Bruns das Meiste aus seinem Material machen und Kosten sparen, ohne die Produktionszeit der Instrumente zu erhöhen.
Wiederaufbereitungsrate von Nylon 12 Powder im Reinraum | Durch Aufbereitung gesparte Kosten pro Kilogramm Nylon 12 Powder |
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70% | 83 € |
Hausinterne Wertschöpfungskette reduziert Durchlaufzeit um 95%
Der Einsatz individualisierter Operationsgegenstände wurde bisher auch durch lange Wartezeiten für die Aufbereitung, Verpackung und auch Sterilisation verhindert. Denn sowohl die Wartezeiten der krankenhauseigenen als auch externen Dienstleister, übersteigen die Zeit, die nach der komplexen Konstruktion und Fertigung der Instrumente für die bestmögliche Versorgung von Patient*innen bleibt.
Durch die betriebsinterne Aufbereitung und Sterilisation im eigenen Reinraum reduziert Navicos den zeitlichen Aufwand um 95 %. So fertigt, verpackt und versendet das Team sterile Werkzeuge für die Unfallchirurgie in nur 48 Stunden.
“Ich habe nach einem Prozess gesucht, den wir in vier bis fünf Tagen abbilden können. Nach der digitalen Planung komplexer Brüche bleiben eigentlich nur noch zwei Tage für Fertigung und Aufbereitung. Dankenswerterweise kann der Fuse 1 kleinere Werkzeuge schon in vier Stunden fertigen. Einschließlich dem Abkühlen und der übrigen Aufbereitungkommen kommen wir so auf eine Prozesszeit von nur acht Stunden.”
Nico Bruns, Unfallchirurg an der Medizinischen Hochschule Hannover & Gründer und Geschäftsführer der Navicos GmbH
Die hausinterne Sterilisation ermöglicht nicht nur die pünktliche Lieferung der Operationsinstrumente, sondern entlastet darüber hinaus auch Kliniken, die so Aufwand für die Schulung von Sterilmitarbeiter*innen und für die Gewährleistung regulatorischer Anforderungen des Sterilprozesses einsparen.
Darüber hinaus ist Bruns überzeugt, dass die betriebsinterne Sterilisation höhere Hygiene sowie Sicherheit ermöglicht, und damit nicht nur aus medizinischem Ethos, sondern eventuell auch regulatorisch gefordert ist. Denn im Krankenhaus würden die 3D-gedruckten Hilfsmittel “erst mal gemeinsam mit den blutverschmutzten Teilen aus anderen Operationen gewaschen werden. Die MDR legt fest, dass Hersteller verpflichtet sind, bei jedem Prozessschritt für maximale Reinheit zu sorgen. Wenn ich also die Option habe, die Produkte am Ort der Herstellung unter Reinraumbedingungen steril zu verpacken, muss ich das machen”, verdeutlicht Bruns.
Wie das Gesundheitswesen von 3D-Druck profitiert
Verbesserte Behandlungen für Patient*innen
Die Behandlung und Heilungschancen von Patient*innen zu erhöhen, steht bei Navicos an erster Stelle. Für Bruns ist klar, dass dafür die Erhöhung von Präzision und Vermeidung von Fehlern in Operationen entscheidend ist. Denn jede Abweichung vom geplanten Operationsziel verschlechtert das Behandlungsergebnis und verlängert die Genesungszeit. “3D-Druck ist in der Lage, unsere Versorgung besser und präziser zu machen”, weiß Bruns, der die Effekte 3D-gedruckter Instrumente bereits mehrfach in wissenschaftlichen Publikationen dokumentierte.
Knochenfrakturen – 90 % geringerer Drehfehler bei Repositionen
Die Einstellung von Frakturen, gehört zu den häufigsten Aufgaben von Unfallchirurg*innen. Die große Fehleranfälligkeit dieser vermeintlichen Routineeingriffe betrifft daher einen großen Teil an Patient*innen negativ. Ebenso groß ist das Verbesserungspotenzial durch Einsatz 3D-gedruckter Instrumente.
Beispielsweise bei Oberschenkel-Operationen beträgt der mittlere Drehfehler – also die radiale Abweichung des Operationsergebnisses von der gesunden Gegenseite – ohne 3D-gedruckte Instrumente 15 Grad. Patient*innen müssen daher mit Bewegungseinschränkungen und Folgeschäden infolge eines ungenauen Eingriffs rechnen. Durch den Einsatz 3D-gedruckter Werkzeuge wird dieses Risiko drastisch reduziert 1,4. So lag “der Drehfehler bei Patienten, die wir durch 3D-Druck-Teile unterstützt operiert haben, bei nur 1,5 Grad [im Median]. Das ist also höchst signifikant und relevant”, erläutert Bruns.
Drehfehler Oberschenkel (ohne 3D-gedruckte Instrumente, Median) | Drehfehler Oberschenkel (mit 3D-gedruckte Instrumente, Median) | Reduktion des Drehfehlers (mit 3D-gedruckten Instrumenten) |
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15 Grad | 1,5 Grad | 90% |
3D-gedruckte Instrumente ermöglichen Mediziner*innen auch Frakturen anderer Körperteile genauer und verlässlicher zu korrigieren als je zuvor, wie Bruns Überprüfungen bestätigen. “Wir haben in sehr individuellen Fällen immer wieder postoperative CT-Daten mit der Planung verglichen und konnten zeigen, dass wir mit 3D-gedruckten Instrumenten eine Präzision mit maximal einem Millimeter Abweichung erreichen. Derartig hohe Genauigkeit war vorher undenkbar”, erklärt Bruns.
Mit 3D-gedruckten patientenspezifischen Instrumenten wie dieser Sägelehre, deren Bohrlöcher für die Orientierung der Repositionsplatte genutzt werden, werden Fehler bei komplexen Osteotomien minimiert. ©N. Bruns / Navicos GmbH
Knochentumore – Tödliche Fehler mit Resektionslehren vermeiden und perfekte Rekonstruktionen erzielen
Auch in der Tumorchirurgie unterstützen Unfallchirurg*innen, beispielsweise wenn die Entfernung von krebsbefallenen Knochen notwendig ist. Die Genauigkeit von Eingriffen beeinflusst in diesen Fällen nicht nur die Genesungszeit, sondern entscheidet schlichtweg über Leben und Tod.
Die Herausforderung ist dabei, dass Schnitte einerseits nah am Tumor angesetzt werden sollen, um möglichst viel gesundes Gewebe zu erhalten. Andererseits haben versehentliche Verletzung des Tumors gravierende Folgen für die Überlebenschancen und müssen daher unbedingt vermieden werden. Erschwerend kommt hinzu, dass Tumore häufig im Knochen liegen und deren Ausbreitung lediglich im MRT erkennbar ist, sodass Operateuren während des Eingriffs eindeutige Orientierungspunkte fehlen.
Die Werkzeuge die Chirurg*innen für den Tanz auf Messers Schneide zur Verfügung stehen, sind trotz der hohen Risiken beunruhigend rudimentär. “Im Grunde arbeitet man dort mit einem Lineal, ganz wie man es aus der Schule kennt. Jeder weiß, wie genau das ist. Wegen der Wölbungen des Knochens und umliegender Weichteile, hält man das Lineal in bis zu 15 Zentimetern Entfernung und muss dann mit Augenmaß angulieren. Da liegt man schnell ein oder zwei Zentimeter daneben. Würde man das nicht berücksichtigen, trifft man dann schnell den Tumor. Daher entfernen die meisten Chirurgen tendenziell zu viel gesundes Gewebe", erläutert Bruns.
Mit 3D-Druck fertigt Bruns hingegen patientenspezifische Resektionslehren, die die Schnitte präzise am vorher analysierten Tumor vorbeiführen. Eindringlich erinnert er sich an den Fall eines 14-jährigen Mädchens mit Krebsbefall im Oberschenkelknochen. “Ihr Tumor hatte sich innerhalb des Knochens abgesiedelt (sogenannte Skip-Lesion). Da wir während solcher OPs nicht in den Knochen reinschauen können und solche Absiedelungen nicht im Röntgen zu erkennen sind, ist es extrem schwer nur im Gesunden zu operieren. Auf Basis des MRT haben wir daher die Resektionshöhe ermittelt und einen Guide gebaut, der uns half den befallenen Knochen präzise mit ausreichend Sicherheitsabstand zu entfernen. Für die Verankerung der Prothese ist somit gerade noch genug gesunder Knochen stehen geblieben.”
Entlastung medizinischer Dienstleister durch vereinfachte Prozesse
Neben den offenkundigen und direkten Vorteilen für Patient*innen profitieren auch medizinische Dienstleister von 3D-gedruckten Operationswerkzeugen. Denn durch das Angebot von Navicos wird die Arbeit von Operateur*innen wesentlich erleichtert und Krankenhäuser entlastet.
Chirurg*innen stehen bei Eingriffen heute unter hohem mentalem und physischem Stress, der nicht nur OP-Fehler, sondern auch gesundheitliche Folgen für die Mediziner*innen provoziert. Der Grund dafür ist, dass die freihändige Bearbeitung von Knochen mit traditionellen Operationswerkzeugen körperlich anspruchsvoll ist und volle Konzentration sowie Entscheidungsfähigkeit erfordert.
Patientenspezifische Instrumente können Chirurg*innen von einem Teil dieses Stresses befreien. “Das ist ein vollkommen anderes Operieren. Für den Operateur ist es viel entspannter, sowohl bezüglich der Muskelkraft als auch kognitiv”, weiß Bruns aus eigener Erfahrung.
Alternative Ansätze zur Verbesserung der Chirurgie, wie optische Navigationsverfahren, können diese mentale Entlastung nicht leisten. Zwar kann der Eingriff leichter visualisiert werden, doch Entscheidungen müssen weiterhin situativ und unter hohem Druck getroffen werden. Im Gegensatz dazu basieren 3D-gedruckte Operationshilfen auf virtuellen Planungen, bei denen vorweg verschiedene Szenarien geprüft und das optimale Vorgehen identifiziert wurden.
Mit patientenspezifischen Instrumenten, die auf virtuellen Planungen basieren, werden komplexe Eingriffe wie diese Reposition einer Tibiakopffraktur vereinfacht. A) 3D-Darstellung des Knochenbruchs B) Virtuelle Reposition - Korrekte Stellung der Bruchstücke C) und D) geplante intraoperative Werkzeuge E) Anwendung im OP F) Röngtenbild nach der Operation. ©N. Bruns / Navicos Gmb
Durch die digitale Vorplanung der Eingriffe wird darüber hinaus die Operationsdauer reduziert und dadurch Infektionsrisiken für Patient*innen vermindert. Außerdem werden die knappen Operationssäle schneller frei, wodurch Krankenhäuser mehr Menschen behandeln können und teure Operationszeit sparen.
Externe Dienstleister wie Navicos steigern durch ihre Spezialisierung die Effizienz der Operationsvorbereitung und senken damit Arbeitskosten. Durch die teilweise Auslagerung der digitalen Planung werden Chirurg*innen entlastet und können ihre Arbeitszeit auf das eigentliche Operieren fokussieren.
Mit SLS-Druck in die Zukunft der Medizin
Für Bruns ist klar, dass der 3D-Druck in der Unfallchirurgie weiter an Bedeutung gewinnt und essentielle Impulse für die Verbesserung der Versorgung leistet. Denn während andere medizinische Teilbereiche kontinuierlich präziser und effizienter wurden, blieb diese Entwicklung aufgrund der Herausforderungen der Traumatologie aus.
“Bisher hat sich technologisch in der Unfallchirurgie leider wenig bis gar nichts verändert. Entsprechend hoch ist auf der anderen Seite das Innovationspotenzial, im Sinne individualisierter Medizin die Präzision zu erhöhen, Teilschritte zu automatisieren und vorweg zu planen. Ohne den 3D-Druck wären temporäre individuelle Chirurgiewerkzeuge undenkbar.”
Nico Bruns, Unfallchirurg an der Medizinischen Hochschule Hannover & Gründer und Geschäftsführer der Navicos GmbH
Vom Potenzial 3D-gedruckter Werkzeuge überzeugt und mit dem Ziel diese für die breite Masse verfügbar zu machen, bereitet sich Bruns auf eine Skalierung von Navicos’ Leistung vor. Für das Design der Werkzeuge setzt er hierfür auf den Einsatz künstlicher Intelligenz und erwartet, dass die Teile innerhalb weniger Stunden konstruiert werden können. Für die Skalierung der Produktion spielt der SLS-Druck von Formlabs eine wichtige Rolle, denn diese wird durch den stützstrukturfreien SLS-Druck weitestgehend standardisiert, sodass dieser nicht zwangsläufig von medizinischem Fachpersonal betreut werden muss. Der neue Fuse 1+ 30W druckt gegenüber dem Fuse 1 mit doppelter Geschwindigkeit, wodurch zeitkritische Teile nun noch schneller bereitstehen.
Navicos Beispiel zeigt, wie der SLS-Druck kostengünstige und skalierbare Fertigung von Medizinprodukten höchster Anforderungen und unter Reinraum-Bedingungen ermöglicht. Profitieren auch Sie vom stützstrukturfreien 3D-Druck mit dem Fuse 1+ 30W für schnelle, hygienische und personalisierte Teile in der Gesundheitsbranche.
1 N. Hawi et al., “Navigated femoral shaft fracture treatment: current status,” Technol. Health Care, vol. 20, no. 1, pp. 65–71, 2012, doi: 10.3233/THC-2011-0652
2 C. Zeckey et al., “Femoral malrotation after surgical treatment of femoral shaft fractures in children: a retrospective CT-based analysis,” Eur. J. Orthop. Surg. Traumatol., vol. 27, no. 8, pp. 1157–1162, 2017, doi: 10.1007/s00590-017-1978-9.
3 M. Citak et al., “Femoral malrotation following intramedullary nailing in bilateral femoral shaft fractures,” Arch. Orthop. Trauma Surg., vol. 131, no. 6, pp. 823–827, Jun. 2011, doi: 10.1007/S00402-010-1245-6.
4 S. Oberthür et al., “[Complication rate after femoral shaft fractures in childhood and adolescence depending on patient factors and treatment measures],” Chirurg., vol. 93, no. 2, pp. 165–172, Feb. 2022, doi: 10.1007/S00104-021-01437-2.
5 3D-printed template-assisted reduction of long bone fractures Liodakis E, Bruns N, Macke C, Krettek C, Omar M, Unfallchirurg. 2019 Apr;122(4):286-292. doi: 10.1007/s00113-019-0627-7.